Physiotherapeutin, vom 12.1. 2009 – 10.4. 2009 im Projekt tätig gewesen
Vorbereitungen / praktische Tipps:
Etwa ein halbes Jahr vor dem tatsächlichen Praktikumsbeginn habe ich begonnen mich mit meinem Auslandsaufenthalt zu beschäftigen. Als Physiotherapeutin habe ich schon immer davon geträumt, in einem Projekt mitzuarbeiten, das dort aktiv ist, wo Hilfe dringend benötigt wird. Auf verschiedenen Internetseiten habe ich mich erkundigt ( z.B.
www.therapeuten-im-ausland.de) und bin schließlich auf das Projekt gestoßen, das von dem deutschen Physiotherapeut Heiner Janssen und seinem indischen Chairman Rakesh Kumar aufgebaut wurde. Ich habe mit Hrn. Janssen gleich Kontakt aufgenommen und mich als Volontär angemeldet. Den Zeitraum konnte ich mir selbst wählen, sodass ich mich um die finanzielle Unterstützung, z.B. das Stipendium kümmern konnte.
Parallel dazu habe ich selbstverständlich und voller Vorfreude damit begonnen, mich mehr mit der indischen Kultur auseinanderzusetzen. Dabei helfen sicherlich zahlreiche Filme über Bollywood bis hin zu Dokumentationen, Reportagen, Bücher etc. über Indien, je nach Belieben auch über spezifische Themen wie z.B. die indische Regierung, das Kastensystem, Religionen, Geschichte und Kultur im Allgemeinen. Indien ist ein unglaubliches und unfassbares Land und ich dachte mir: Je mehr ich vorher darüber weiß, desto besser kann ich Eindrücke und Erfahrenes verstehen, einordnen, um somit soviel wie möglich aus meinen drei Monaten in Indien mitzunehmen.
Nachdem ich den Flug gebucht hatte, habe ich mich um die Auslandversicherung gekümmert (ich denke, dass die normale Krankenversicherung da gut beraten kann). Über bestimmte Impfungen kann man sich bei Ärzten, im Tropeninstitut oder auch auf der Internetseite des Auswärtigen Amts (
www.auswaertiges-amt.de) Informieren.
Das Visum für Indien habe ich erst zwei Tage vor dem Abflug in der Indischen Botschaft in Berlin (
www.indischebotschaft.de ) beantragt und abgeholt. Es muss in diesem Fall wirklich und ganz wichtig ein Intership- Visum sein, kein Touristen- Visum.
Mein Bankkonto habe ich in Deutschland gelassen und auch kein extra Konto in Indien eröffnet – es ist wirklich kein Problem von dort aus Geld abzuheben.
Über Rakesh und andere Volontäre, mit denen ich mir gleich e-mails geschrieben habe, erfuhr ich, dass es relativ einfach ist, in einem Guesthouse vor Ort ein Zimmer zu bekommen. Trotzdem habe ich Rakesh gebeten, dort für mich zuvor schon mal ein Zimmer zu reservieren, sodass das kein Problem war.
Die allgemeine Sprache in Indien ist Hindi, wobei es unzählige regionale Sprachen gibt, Menschen aus z.B. Tamil Nadu (Südindien), sprechen eine andere Sprache, als z.B. jemand aus Bihar (Nordindien) – die gemeinsame Sprache ist Hindi, was aber lange nicht von allen ganz verstanden wird. Als Amtsprache und für die Touristen sehr nützlich ist Englisch. Viele Inder sprechen Englisch, einige besser, andere weniger gut, v.a. in abgelegenen Gegenden, in Dörfern beispielsweise, ist Englisch wenig verbreitet. Das liegt natürlich auch an der allgemeinen Schulbildung, die mal mehr, mal weniger vorhanden ist. Da es in Indien aber immer viele hilfsbereite Menschen gibt, kann man immer jemanden anhalten und um Hilfe bitten, wenn er nicht, wie so oft, von selbst anhält, um einem bei der Konversation mit einem nicht Englischsprechenden behilflich zu sein.
Wenn man sich mit der indischen Kultur beschäftigt, wird schnell klar, dass man sich dort selbstverständlich in gewissen Situationen anders verhalten sollte, als in Deutschland. Es ist klar, dass z.B. die Kleidung eine wichtige Rolle spielt. Als westlicher Tourist ist man, je nach Gebiet natürlich unterschiedlich, aber generell doch ein Blickfang für viele der zahlreichen Augen. Um Missverständnissen zu entgehen aber auch, weil es für mich ein ganz klares Gefühl ist, habe ich Hosen und Shirts möglichst lang gehalten. In Indien ist es ungut, nackte Schultern zu zeigen, Knie sollten bedeckt sein etc. Es ist interessant zu beobachten, dass unter den wunderschönen, bunten Saris doch eigentlich immer freie Bäuche zu sehen sind. Klingt vielleicht als ein Widerspruch, man sollte es aber einfach hinnehmen und, wenn man mag, jeder für sich genauer drüber nachdenken.
Meine Arbeit im Projekt:
Der MVT hat seinen Hauptstandort in Bodhgaya, Bihar, Indien.
Derzeit arbeiten dort sieben indische Mitarbeiter, von denen der Chairman Rakesh als einziger offiziell ausgbildeter Physiotherapeut ist. Die übrigen sechs haben in den letzten Jahren, seitdem es dem MVT gibt, jede Menge über die Therapien und deren medizinische Hintergründe gelernt, sodass sie als Mitarbeiter die Säulen des MVT bilden und an den Patienten gute Arbeit leisten.
Der MVT ist vielseitig aufgebaut und behandelt hauptsächlich Kinder und Jugendliche mit Polio, Infantiler Cerebralparese (ICP) jeglicher Art und Patienten nach Schlaganfällen (Apoplex) und dadurch resultierender Hemiparese (Halbseitenlähmung) oder ähnliche neurologische Syndrome.
Jedem Patienten, der zu den Einsatzorten kommt, steht eine physiotherapeutische Behandlung mit (Elektro-) Akupunktur und eine individuelle krankengymnastische Behandlung zu, sodass jeder Pat. etwa 40-50 Minuten behandelt wird.
In Bodhgaya ist das Projekt so ausgerichtet, dass täglich in die umliegenden Dörfer gefahren wird, um dort an bestimmten und festgelegten Treffpunkten die Patienten zu behandeln.
Wir haben uns jeden Morgen um 9h getroffen, um gemeinsam auf dem Motorrad zu den Einsatzorten zu fahren.
morgendliches Treffen
Es wird so aufgeteilt, dass jeder Volontär mit mindestens einem festen Mitarbeiter zu ein – zwei Einsatzorten pro Tag fährt, alles in Abhängigkeit von der Anzahl der Volontäre und davon, wie viele Patienten an den Treffpunkten erwartet werden. Pro Tag kümmert sich der MVT insgesamt um etwa drei - vier Stationen, d.h., dass insgesamt schätzungsweise 30-40 Menschen pro Tag behandelt werden.
Die Treffpunkte sind festgelegt. Die Patienten der Umgebung wissen über die Tage und Zeiten Bescheid und kommen selbstständig zu den Orten. Meistens findet die Therapie in leerstehenden Häusern statt, alte, leerstehende Schulen oder Hütten. Dort an der Wand hängt ein Infoblatt über die wöchentlichen Einsätze des MVT und dessen „Therapieangebote“.
An jeder Station gibt es einen „Dorfassistenten“, der die Arbeit des MVT unterstützt und an den übrigen Wochentagen zumindest teilweise weiterführen kann.
Die Fahrten zu den Stationen dauern 30-90 Minuten. Dort angekommen warten meist schon viele Patienten auf die Mitarbeiter und Volontäre des MVT. Viele Patienten sind schon jahrelang dort in Behandlung und wissen, was sie erwartet. Da in den leerstehenden Häusern keine Behandlungsbänke oder Stühle zur Verfügung stehen, setzen sich die Patienten, wie meist gewohnt, auf den Boden. Die Menschen, die das erste Mal dort hinkommen, werden ausführlich befundet, über ihre körperliche Situation aufgeklärt und in Anlehnung daran werden ihnen die Therapiemöglichkeiten vorgestellt.
Die Aufgabe der Volontäre besteht darin, die festen Mitarbeiter in ihrer Arbeit zu unterstützen. Das Anlegen der Akupunkturnadeln wird stets von den indischen Mitarbeitern durchgeführt. Als Volontär ist es ratsam und interessant, ihnen dabei über die Schultern zu schauen – das Prinzip der Elektroakupunktur ist ein interessanter Mix aus traditioneller chinesischer Akupunktur und moderner Elektrostimulation.
Die Behandlungen der Patienten werden bestenfalls auch von den festen Mitarbeitern durchgeführt. Dabei ist möglichst immer ein Volontär dabei, der ihnen Ratschläge und Tipps gibt und gegebenenfalls neue Behandlungstechniken, Übungen etc zeigen kann.
Natürlich werden die Patienten auch von den Volontären behandelt, z.B. wenn sehr viele Patienten vor Ort sind und verhältnismäßig wenig Mitarbeiter. Innerhalb der gemeinsamen Therapie von Patienten, Mitarbeiter und Volontär gilt es, nicht als „lehrende weiße Hand“ dazustehen. Es ist ein wirklich netter kollegialer, mehr freundschaftlicher Umgang, die Mitarbeiter sind immer dankbar und offen für neue Anregungen und Ratschläge, sodass sie auch aufmerksam und interessiert zuschauen, wenn man als Volontär mit- bzw. vorbehandelt
Insgesamt ist es v.a. das organisatorische Leiten des gesamten Behandlungsablaufs und Arbeitstages, das als Aufgabe der Volontäre im Vordergrund stehen sollte.
Dazu gehören auch die Dokumentationen über die Patienten, Befundaufnahmen etc. Es ist erstaunlich, wie viel motivierter die Mitarbeiter sind, wenn jemand da ist, der sie dazu animiert, die Behandlungen so sorgfältig und durchdacht wie möglich zu gestalten und wichtige Informationen aufzuschreiben, um so das Arbeitsniveau zu halten und bestenfalls immer mehr auszubauen.
Während etwa die Hälfte der Patienten (Elektro-) Akupunktur bekommt, können die anderen z.B. schon krankengymnastisch behandelt werden. Für die krankengymnastischen Behandlungen wird eine Matte ausgelegt, die auf den Motorrädern mitgebracht wird, ebenso wie diverse Spielsachen, die v.a. für die Therapie mit den Kleinkindern eingesetzt wird.
Für einen Erstbesuch eines Patienten muss sich etwas mehr Zeit und v.a. Ruhe genommen werden, ihm muss zugehört werden und alles Essentielle muss dokumentiert werden.
Die Polio- Patienten, die zum ersten Mal eine der Stationen aufsuchen, werden intensiv aufgeklärt und ihre aktuelle Situation wird eingeschätzt. Polio betrifft meist die Beine der Patienten, ein oder beide. Die Beine sind durch die starken muskulären Kontrakturen in bestimmten Positionen fixiert, oftmals können die Patienten sich lediglich kriechend fortbewegen. Viele benutzen dazu ihre Hände zum Stützen auf dem Boden. Selbstverständlich ist dieser Zustand für die Betroffenen sehr belastend.
Zu Beginn der langwierigen Behandlung wird das Prinzip des „Gipsdehnen“ angewendet. Die betroffenen Extremitäten werden eingegipst. Es gilt dann, das Kniegelenk von der vorherigen Beugestellung in eine Streckung zu bringen. An der Hinterseite des Kniegelenks wird ein Spalt in den Gips geschnitten, sodass das Bein, trotz Gips, im Kniegelenk bewegt werden kann, was für die Strukturen von enormer Bedeutung ist. Um die Streckung dann mehr und mehr zu forcieren, kommen Holzwürfel zu Einsatz, die in der größtmöglichen Streckstellung des Kniegelenks in die freie Gipsfläche gebracht werden. So sind die Gelenkstrukturen, Muskeln etc dazu gezwungen, sich an die immer weiter gebrachte Streckstellung zu gewöhnen. Dieser Prozess dauert lange und ist natürlich für die Patienten mit Schmerzen verbunden. Das Resultat nach jahrelanger Therapie ist sehr groß und bedeutet für die Polio- Patienten, endlich auf beiden Beinen durchs Leben g e h e n zu können - das bringt ein vollkommen neues Lebensgefühl mit sich. Kriechend können sie am „normalen“ Leben nur schwer teilhaben, ständig wird auf sie heruntergeguckt und sie sind immer auf Hilfe angewiesen. Hinzu kommt, dass gerade in abgelegenen Gebieten sehr viel Unwissenheit über die Hintergründe von Erkrankungen dieser Art besteht, wodurch oft offene Fragen oder einfach Irrglaube über die körperliche Situation der Betroffenen entsteht.
Nach dem Gipsdehnen ist die therapeutische Arbeit natürlich noch nicht getan. Die Patienten bekommen ihr individuelles Übungsprogramm, das sie auch zuhause durchführen können. Größtenteils geht es dabei um die Kräftigung der erschlafften Muskulatur (bestimmte Muskeln kontrahieren, andere erschlaffen schlichtweg – es gilt, ein bestmögliches muskuläres Gleichgewicht wiederherzustellen). Jedes Übungsprogramm wird wöchentlich überprüft und gegebenenfalls mit anderen, anspruchsvolleren oder günstigeren Übungen erweitert bzw. ergänzt.
Parallel dazu bekommen die Patienten Elektroakupunktur. Dabei werden die Akupunkturnadeln gesetzt, daran werden kleine Stromkabel befestigt, um leichte stimulierende Reize an die Muskulatur zu geben.
Patientenbeispiele Polio:
Die Patientin kam zum ersten Mal zum MVT, ihr rechtes Bein ist betroffen. Zur Fortbewegung stützt sie sich auf den Händen über den Boden, sie wurde von ihrem Vater auf dem Gepäckträger zum MVT gebracht.
Das linke Bein ist betroffen. Nach jahrelanger Behandlung mit Gips, Elektrotherapie, Übungen und Schienenversorgung kann der Patient wieder gehen und sich aufrecht fortbewegen.
Gipsbehandlung bei Polio – Patienten:
Ein erfahrener, selbstständiger Polio – Patient nach langjähriger Behandlung (Gipsdehnen, Elektroakupunktur, Krankengymnastik):
Den Kindern mit Infantiler Cerebralparese (ICP) wird eine besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Sie leiden unter nicht fortschreitenden Behinderungen, Bewegungsstörungen jeglicher Art, die auf eine frühkindliche Hirnschädigung zurückzuführen sind. Es sind dort Krankheitsbilder zu sehen, die z.B. in Deutschland nur noch sehr selten oder gar nicht mehr auftreten. Das liegt einerseits an unseren fortschrittlichen Schwangerschaftskontrollen (und demzufolge auch Schwangerschaftsabbrüchen), andererseits auch an den Bedingungen, unter denen die Kinder zur Welt gebracht werden. Pränatale Hirnblutungen des Kindes, Traumen, Frühgeburten, postnatale Infektionen und Entzündungen sowie Sauerstoffmangel nach der Geburt sind nur einige der möglichen Ursachen für die Entstehung von ICP.
Gerade die krankengymnastische Behandlung ist für diese Kinder sehr wichtig. Es geht dabei um verschiedene Aspekte wie beispielsweise die Anbahnung von physiologischen Reaktionen auf. Positionswechsel o.ä., alles in Anlehnung an die physiologische Entwicklung des Kindes. Hier wird vor allem mit dem Bobath- & Vojta- Konzept gearbeitet. Neben der Förderung der körperlichen Entwicklung ist es auch von großer Bedeutung, die Betroffenen hinsichtlich ihrer Wahrnehmung z.B. für ihr Umfeld und ihren eigenen Körper zu fördern. Die Mütter und Angehörigen der Kinder schauen dabei genau zu, um ihr Kind auch und gerade in Alltagssituationen adäquat unterstützen zu können. Auch hier werden die „Hausaufgaben“ wöchentlich überprüft, gegebenenfalls verbessert oder erweitert.
Behandlung bei CP – Patienten:
Die Schlaganfall – Patienten werden ähnlich behandelt, wie in Deutschland. Sie bekommen (Elektro-) Akupunktur und werden dahingehend beübt, dass ihre betroffenen Extremitäten möglichst viele nervale Informationen erhalten und so gut wie möglich in den Alltag integriert werden können. Hier wird, ähnlich wie bei den ICP – Kindern, in Anlehnung an das Bobath- Konzept gearbeitet.
Überprüfen der Hausaufgabe:
Behandlung mit Elektroakupunktur:
Um möglichst viele Betroffene und Hilfsbedürftige zu erreichen, gehört auch das Rekrutieren von neuen Patienten zu den Aufgaben, die die Volontäre zusammen mit den Mitarbeitern vor Ort durchführen. Dabei sind wir in die umliegenden Dörfer gefahren und haben den Kreis um die bekannten Stationen des MVT ausgeweitet. Viele neugierige Gesichter haben uns zu den Betroffenen geführt, die meist etwas abgelegen auf einem Bett lagen oder auf dem Boden saßen. Ihre verzweifelten und hilflosen Gesichter haben mich unglaublich berührt.
Man muss sich vorstellen, dass die meisten der Patienten nicht wissen, was mit ihrem Körper geschieht bzw. passiert ist. Sie erzählen, dass sie vor etwa einem halben Jahr starke Kopfschmerzen hatten und dann ab dem darauffolgenden Morgen ihre gesamte Körperhälfte nicht mehr bewegen konnten. Sie sind hilflos, unwissend, ängstlich und verzweifelt.
Manche sehen ihr Leiden und ihre Behinderung als übersinnliche Strafe, mit der sie in diesem Leben leben müssen.
Die Arbeit im Projekt ging bis etwa 14/ 15 Uhr, zurück in Bodhgaya waren wir meist gegen 16.30h. Die Mitarbeiter haben uns dann meist bis zu unserem Guesthouse gebracht. Nach einer kleinen Pause und dem Genuss der köstlichen indischen Küche im Restaurant oder bei den Mitarbeitern zuhause, haben wir uns abends oft noch alle gemeinsam getroffen, Mitarbeiter und Volontäre, um in der Abendsonne auf einem Feld Volleyball zu spielen. Sehr schöne Tage, voller Impressionen, Erfahrungen und Erlebnissen, die ich nie vergessen werde.
Jeden Samstagvormittag finden projektinterne Fortbildungen statt. Dabei wurde zuvor ein fachliches Thema gewählt (Akupunktur, Anatomie, Bobath- Konzept u.v.m.), über das entweder die Volontäre den Mitarbeitern erzählten oder umgekehrt. Wichtig für die Therapie von ICP – Kindern ist z.B., die physiologische Entwicklung eines Kindes genau nachvollziehen zu können. Dafür haben wir die einzelnen Entwicklungsphasen aneinander vorgemacht und besprochen.
Projektinterne Fortbildung:
Den übrigen Samstag und Sonntag hatten wir frei. Da es in Bodghaya viel zu sehen gibt, war uns nie langweilig. Es gibt zahlreiche buddhistische Tempel, in denen man an Meditationen teilnehmen kann, eine große Buddhastatur und den berühmten Bodhi- Baum, unter dem Buddha die Erleuchtung erlangt hat.
Außerdem kann man am Wochenende die Umgebung erkunden und Ausflüge machen mit der Autorikshaw oder mit dem Zug.
Der MVT ist neben der Arbeit in den Dörfern auch noch anderweitig tätig. Neben der Gipsversorgung werden auch die Schienen für die Polio - Patienten in der Werkstatt des MVT von den Mitarbeitern selbst hergestellt. Zwei der Mitarbeiter vor Ort sind selbst an Polio erkrankt und arbeiten trotz ihrer körperlichen Einschränkungen, die Dank des MVT schon erheblich geringer sind, sehr fleißig und motiviert für das Projekt.
Zudem werden in einer kleinen Näherei auch Stofftaschen, Beutel, Buchumschläge uvm. Hergestellt, die zugunsten des Projekts verkauft werden. Diese Dinge kann man im Internet ersteigern und so sowohl das Projekt finanziell unterstützen, als auch die Mitarbeiter in der Näherei dahingehend motivieren, das sich ihre Arbeit wirklich lohnt.
Im Herbst 2008 hat der MVT ein Tochterprojekt ins Leben gerufen. Es ist in Nawada stationiert, eine kleine Stadt etwa 80km von Bodghaya entfernt. Dort sind Räumlichkeiten gemietet, in denen nun die erste richtige Praxis des MVT besteht. Anders als in Bodghaya können die Patienten nun die Praxis selbst aufsuchen, über die sie durch diverse Flyer und Mundpropaganda informiert werden. Die Mitarbeiter und Volontäre dort bleiben am Ort, um montags bis freitags von 9h – 17h für die Betroffenen da zu sein.
Schild vor der Praxis in Nawada
Treffen der Volontäre mit Chairman Rakesh in Nawada
Für mich war die Zeit im MVT sehr wertvoll. Es ist ein starkes Projekt, das schon viel erreicht hat und mit Sicherheit noch mehr erreichen kann. Als Physiotherapeut in Indien wird man mehr als „doctor“ gesehen – Physiotherapie ist als solches ist weniger gängig, als in Deutschland. Es gibt Physiotherapieschulen und Physiotherapeuten, meist aber in größeren Städten. Der MVT zeigt, dass es sich lohnt, die Physiotherapie noch mehr ins Land zu bringen, v.a. genau dort hin, wo sonst keinerlei Hilfe ankommt. Das ist auch der Grund dafür, weshalb z.B. die Impfungen gegen Polio gerade in Bihar zu wenig verbreitet sind. Man muss energisch und offensiv sein, um die Menschen in ihrer Hilflosigkeit zu erreichen. Sie müssen aufgeklärt werden, es muss auf sie zugegangen werden und v.a. mit ihnen und nicht gegen sie gearbeitet werden.
Wissen die Menschen einmal um die mögliche Hilfe ihres Leidens, sind sie bereit, kilometerweite Strecken zurückzulegen. Seien es die sorgenden Mütter mit ihren sich quälenden Kindern auf den Armen, die alte verzweifelte Frau, die kilometerlang an einem Stock gekrümmt ihr Bein hinter sich herschleift oder sei es der halbseitsgelähmte, verwirrte Mann, der sich mit Hilfe seiner zwei Söhne auf dem Gepäckträger des rostigen Fahrrads den langen Weg nach Hause schieben lassen muss.
Ich habe eine sehr eindrucksvolle Zeit erlebt, für die ich sehr dankbar bin, und von der ich mich auch persönlich sehr intensiv hab prägen lassen. Ich habe aus meiner Zeit beim MVT genau das ziehen können, was ich erwartet habe. Ich habe einen sehr guten Eindruck bekommen, wie so ein starkes Projekt aufgebaut wird, wie es geleitet wird, wie es arbeitet. Ich habe fachlich viel gelernt und werde mit Sicherheit immer von dieser intensiven Zeit zehren. Gefüllt von Eindrücken, Menschen und Schicksalen bringt es dem Leben gegenüber eine Art Gelassenheit mit sich, die sich nicht nur auf meine zukünftige Arbeit, sondern auf mein ganzes Leben auswirkt - immer verbunden mit Dankbarkeit und einem hohen Maß an Respekt, den jeder Mensch gleichermaßen verdient.
Insa Schmidt